Demokratieverdruss in den Bergstadtteilen – Was tun?
(Von Karin Weinmann-Abel und Arndt Krödel)
Was ist denn da los, fragten sich vor einiger Zeit Passanten beim Einkaufszentrum im Emmertsgrund. Da tanzten zu fetziger Musik am helllichten Nachmittag Leute auf dem Vorplatz von Forum 5. Einige schauten zu, wieder andere unterhielten sich über den Inhalt der Flyer, die an einem Infostand lagen. Und manch einer schüttelte den Kopf. Tanzen für die Demokratie (offiziell: „Dance for Democracy“), was sollte das denn?
Es sollte wohl vor allem eins: darauf aufmerksam machen, dass die Demokratie in Gefahr ist.
So sehen das auch zahlreiche Bildungsstätten im Land. Nicht von ungefähr kamen in der Waldparkschule im Boxberg Anfang April ihre Vertreter wie beispielsweise Schulleitungen, Pädagogen und Didaktiker zu einem „Demokratieforum“ zusammen, um darüber zu beraten, wie man Schülern demokratische Werte vermitteln könne. Erst recht in einer Zeit, in der ein Blick über den Großen Teich lehrt: Selbst in einer einstigen demokratischen Hochburg wie den USA wird gelogen, gedroht und Angst verbreitet, wie man es nur aus faschistischen Regimen kennt. Will heißen: Demokratisch gewählt heißt noch lange nicht demokratisch handeln. Das lehrt uns das Jahr 1933 unserer eigenen Geschichte.
Aus der Geschichte …
Viele Bewohner der Bergstadtteile sind aus Ländern geflohen, in denen entsprechende Zustände herrschen. Sie kommen hier seit Jahren in den Genuss der Rechte, die ein demokratisches System bietet. Andere wiederum, die vielleicht nicht fliehen mussten, aber in ärmlichen Verhältnissen leben, werden in einem sozialen Netz aufgefangen. Einrichtungen und ehrenamtlich organisierte Gruppen in den Bergstadtteilen bemühen sich seit deren Gründung darum, ein friedliches Zusammenleben trotz der vielen kulturellen Unterschiede zu ermöglichen.
Was läuft da schief, wenn ausgerechnet Emmertsgrund und Boxberg die einzigen Stadtteile in Heidelberg sind, in denen die AfD bei der letzten Bundestagswahl die Mehrheit errungen hat, und zwar mit überdeutlichem Abstand zum Gesamtergebnis in der Stadt (s. S. 3)? Warum wählen hier so viele Menschen eine Partei, die in Baden-Württemberg – gerichtlich bestätigt – vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird und mit geheimdienstlichen Mitteln beobachtet werden darf, ausgerechnet in einem international und weltoffen geprägten Heidelberg? Endet die Weltoffenheit Heidelbergs heutzutage an der Boxbergauffahrt?
… will gelernt werden
Rechtsextreme Parteien einschließlich der AfD grenzen Minderheiten aus und gefährden die Demokratie, sagt die Hamburger Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Kirsten Fehrs. Beide große christlichen Kirchen bescheinigen der Partei, sie trete das christliche Menschenbild mit Füßen. Neben den christlichen Gemeinden ist auch die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde auf dem Berg heimisch. Ihr Slogan lautet: „Liebe für alle – Hass für keinen“, ein Aufruf zum friedvollen Miteinander.
Einfache Erklärungen für die AfD-Dominanz in den Bergstadtteilen gibt es nicht. Ist es – aus Unwissenheit? – offene Sympathie mit rechtsextremem Gedankengut oder eher ein Protest gegen die Politik der anderen Parteien? Ist es Unzufriedenheit mit den aktuellen Lebensverhältnissen, die vor allem einkommensschwache Bevölkerungsschichten betreffen – steigende Mieten und Preise, nicht ausreichende Renten? Ist es das Gefühl, abgehängt zu sein, die Annahme, dass die Migrationspolitik an allem schuld ist?
Bei einer Diskussionsveranstaltung kurz vor der letzten Bundestagswahl im Bürgerhaus Emmertsgrund legten zwei selbstkritische Wortmeldungen von Vertreterinnen der SPD den Fokus genau auf diesen Punkt: Auch die Politik habe Fehler gemacht gemacht, die Leute „nicht abgeholt“ und die Folgen nicht einkalkuliert, wenn es „den Menschen an den Geldbeutel“ gehe.
Vielleicht ist die Betrachtung und Bearbeitung dieses Aspektes, nämlich, sich an die eigene Nase zu fassen und Fehler zu korrigieren, produktiver als die Frage, um die es an diesem Abend ging: ob die AfD verboten werden soll.
Selbstkritik tut not
Wie also umgehen mit der AfD? Bei den Bürgersprechstunden der Stadtteilvereine wird sie wie alle anderen Fraktionen im Gemeinderat mit den jeweiligen Bezirksbeiräten eingeladen – weil die Vereine gemäß ihrer Satzung zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet sind. Über Weltpolitik möchte man dabei nicht diskutieren, sagt Fritz Zernick, Vorsitzender des Stadtteilvereins Emmertsgrund: „Wir betreiben hier als kommunalpolitisch aktive Gruppierung nur Kommunalpolitik.“ Das schließt freilich nicht aus, dass man gegenüber der AfD auf Distanz bleibt. Zernick ist sich bewusst, dass die „Alternative“ bei Abstimmungen über die Berg-stadtteile häufig konstruktive Vorschläge abgelehnt habe. Das betraf etwa die Fortführung des Stadtteilmanagements im Em¬mertsgrund oder die Einrichtung der Gemeinschaftsschule im benachbarten Boxberg.
Auch Renate Deutschmann, Vorsitzende des Stadtteilvereins Boxberg, betont die satzungsgemäße Neutralität. Wichtig ist für sie, Leute anzusprechen, auch junge und Alleinstehende, sie danach zu fragen, wo sie der Schuh drückt und sie für die Arbeit im Verein zu motivieren und zu integrieren.
Zu Neutralität in diesem Sinn ist ein journalistisches Medium wie die Stadtteilzeitung Em-Box nicht verpflichtet. Es kann zeigen, wo es in dieser schwie¬rigen Zeit steht: Am 9. April ist der Trägerverein Em-Box dem Heidelberger Bündnis „Kein Schritt nach rechts“ beigetreten. Der vor einem Jahr gegründete zivilgesellschaftliche Zusammenschluss von einer Vielzahl konfessionell- und parteienübergreifender Institutionen, Gruppierungen und Einzelpersonen zielt darauf ab, gemein¬sam für Menschenrechte, Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzustehen. Entstanden ist das Bündnis als Reaktion auf das Erstarken und die Normalisierung von faschistischem Gedankengut in manchen Bevölkerungskreisen.
Vorbild Frontman Mochi
Eine pfiffige Veranstaltung des Bündnisarbeitskreises Bildung im Emmertsgrunder Bürgerhaus zeigte kürzlich in einer Doku die Wandlung des Frontmans Mochi der Punk Band „Feine Sahne Fischfilet“ vom Linksextremen zum Demokraten.
Einer der Werte, die die Demokratie ausmachen, ist die Meinungsfreiheit. Die hat noch zu Zeiten des Absolutismus der Literat Voltaire vertreten: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“Meinungen jedoch, die offen zu Gewalt aufrufen oder Menschen diskriminieren, dürfen in einer Demokratie nie toleriert werden.
