Spannender Erzählnachmittag im Emmertsgrunder HeidelBerg-Café – Gespräche werden wissenschaftlich ausgewertet
Was bedeutet für Sie Heimat? Welche Bücher, Gerüche, Lieder und Objekte erinnern Sie daran? Das sind die Fragen, die Dr. Nicholas Beckmann am Heidelberg Zentrum für Kulturelles Erbe (HCCH) untersucht. „Heimat(en)“ ist das Thema des Sonderforschungsbereichs 1671 und der Emmertsgrund ist wohl der Stadtteil, der zu diesem Thema die meisten Antworten bereit hält, denn hier leben Menschen aus rund 180 Herkunftsländern. Deswegen hatten Beckmann und seine Kollegin Michaela Böttner jetzt ins HeidelBerg-Café eingeladen und die Teilnehmer gebeten, Objekte mitzubringen, die für sie mit dem Begriff verbunden sind.
So packte Jaswinder Pal Rath Hand genähte Schnabelschuhe und ein großes Tuch aus, auf dem 35 Buchstaben gedruckt sind; so viele Buchstaben hat nämlich das Alphabet in seiner Muttersprache im nordindischen Punjab. „Dort ist meine Heimat, aber in Heidelberg bin ich zuhause“, erklärte er. Seit 30 Jahren lebt er in Deutschland, seine Kinder sind hier geboren, „aber wenn ich den Flughafen in Indien verlasse, gehen die Uhren anders“. Seine Armbanduhr legt er ab, die Zeit bleibe dann irgendwie stehen, denn seine Kultur habe auch einen anderen Umgang damit. Auf der Rückreise nimmt er dann immer ganz viele Gewürze mit, die oft den Zoll sehr interessierten, schmunzelt er.
Dass Heimat auch durch den Magen geht, bestätigte Cornelia Wehle. Die „Urschwäbin“ aus Horb am Neckar hatte ein Nudelholz und eine Spätzlepresse aus ihrem Elternhaus mitgebracht, die sie auch heute noch benutzt. Auch in ihrer Familie gebe es oft Linsen mit Spätzle. Trotzdem sei sie in ihrer Heimatgemeinde nie richtig verwurzelt gewesen, die Eltern waren Lehrer und sprachen selbstverständlich hochdeutsch; deshalb seien die anderen Kinder immer auf Abstand gegangen.
Aus dem Iran stammt Mehrdad Farhadi Sinaee, erst seit 18 Monaten lebt er in Heidelberg. „Ich bin mit einem guten Gefühl hier, aber meine Heimat ist der Iran“, unterstrich er. Eine Brille erinnert ihn an seine eine Großmutter, eine Halskette an die andere. Heimat sei wie sie, nah und vertraut.
Leichter hat es da Anil Faikoglu, der seinen deutschen Reisepass hochhebt. Der 26-Jährige hat zwar türkische Wurzeln, aber seine Eltern sind schon in Deutschland geboren, er selbst und seine eigenen Kinder auch. „Ich kenne es gar nicht anders, meine ganze Familie ist hier, mein älterer Bruder ist Reservist“, berichtet er. Und er sei sehr froh, dass im Kindergarten die Frage nach der Herkunft gar nicht angesprochen werde, unterstreicht Anil Faikoglu.
Ebenfalls in Deutschland geboren ist Michael Steinke. Allerdings ist der 19-Jährige ein Russlanddeutscher der ersten Generation, seine Eltern stammen aus Kasachstan, er wurde russischsprachig aufgezogen. Ein Heidelberger Schlüsselband mit Heiliggeistkirche und Bergbahn ist für ihn Symbol seiner Heimat Heidelberg. „Aber gerade fange ich an, mich mit meinen Wurzeln zu befassen, und die sind in Kasachstan“.
Aus Weißrussland stammt Ina Giering, die mit ihrer kleinen Tochter gekommen ist. Als sie vor 20 Jahren nach Deutschland kam, hatte sie nur sehr wenig Gepäck; deshalb konnte sie auch nur die kleinste der Matruschka-Holzpuppen mitnehmen. „Matruschka-Sets können bis zu 72 Puppen enthalten, die ineinander gestapelt werden“, erzählt sie. Heute spielt ihre Tochter Annabell damit, die sich natürlich eine größere Matruschka wünscht. Das Mädchen geht jeden Samstag zum Russisch-Unterricht, ihrer Mutter ist das wichtig, damit sie sich „zuhause“ in Weißrussland mit der Familie unterhalten kann.
Die älteste Teilnehmerin in der Runde ist Karin Weinmann-Abel, die sich im Kulturkreis Emmertsgrund und bei der Stadtteilzeitung Em-Box seit Jahrzehnten engagiert. Geboren 1946 in dem kleinen Ort Dörzbach im Hohenlohekreis habe sie eine landschaftlich wunderschöne Heimat, aber einen vom Krieg traumatisierten Vater und eine sehr junge, oft überforderte Mutter gehabt. „Ich habe kein Urvertrauen gelernt“, bilanziert sie ihre Kindheit. Als Beweis dient ein Weidenstock, den ihr Vater für sie geschnitzt hat, und mit dem sie stolz zum Maifest ging. „Aber das ist wirklich grotesk, dieses Geschenk diente auch dazu, mich zu schlagen. Es war ja die Zeit der ‚schwarzen Pädagogik‘“, berichtet sie. Heimat sei für sie seitdem auch mit diesem Stock verbunden, also ein sehr zwiespältiges Gefühl.
Nicholas Beckmann dankte nach zwei eindrucksvollen Stunden allen, dass sie so offen erzählt hatten. Der Auftakt des Erzählcafés war gelungen, für seine Forschungsarbeit hat er nun viel aussagekräftiges Material.
Text und Foto: Ingeborg Salomon




